Alles im Fluss?

Potenzialerhebung zur Verbesserung der ökologischen ­Qualität von Waldbächen

Oft sind es minimale Eingriffe, die lange Bachabschnitte ökologisch aufwerten können. Doch wie bekommt man einen Überblick, an welchen Gewässerabschnitten das größte Potenzial für einen solchen Eingriff liegt? Im Projekt "Potenzialerhebung zur Verbesserung der ökologischen Qualität von Waldbächen" will die Abteilung Waldnaturschutz der FVA landesweit solche Abschnitte an Waldbächen anhand von Geodaten berechnen und ausfindig machen.

Im Jahr 2000 trat die EU-Wasserrahmenrichtlinie in Kraft. Seitdem wurden die Anstrengungen intensiviert, die Fließgewässer im Land wieder durchgehend in einen guten Zustand zu versetzen.

Nach wie vor gibt es aber auch an Waldbächen viele ökologische Defizite, die sich negativ auf Artenvielfalt, Hochwasserschutz, Wasserqualität und Erosionsprävention auswirken. Oft können die Gewässer bereits durch kleine naturschutzfachliche Eingriffe deutlich aufgewertet werden. Werden diese Potenziale genutzt, kann sich der ökologische und chemische Zustand eines Gewässers und deren Uferbereiche erheblich verbessern, was Mensch und Natur zu Gute kommt.

Ziel des Projekts

Mithilfe von Geodaten entwickeln wir ein Verfahren zur Berechnung von Defiziten und Potenzialen an und in Waldbächen in Baden-Württemberg.

Wir verwenden dazu Daten mit Informationen zu Baumartenzusammensetzung, Artnachweisen bedrohter Tier- und Pflanzenarten, Verbauungen, Waldbiotopen und kulturellen Denkmälern. Das Verfahren soll anschließend zusammen mit interessierten Kommunen, Forstbetriebsgemeinschaften und Privatwaldbetrieben auf ihre Praxistauglichkeit geprüft und gegebenenfalls angepasst werden. Im Rahmen des Projekts können im Anschluss Renaturierungsmaßnahmen entlang von Gewässern geplant und begleitet werden.

Defizite und Potenziale von Waldbächen

STRUKTURELLE DEFIZITE AN WALDBÄCHEN

Natürlicherweise sind fließgewässerbegleitende Wälder von typischen Laubbaumarten (zum Beispiel Schwarzerle, Esche, Pappel) geprägt. Diese natürliche Uferbegleitung wurde in der Vergangenheit oft durch die schnellwachsende Fichte ersetzt. Prägt die Fichte in Reinbestand den Uferbereich, ist das aus verschiedenen Gründen kritisch für die Gewässer:

  • Für die sogenannten Zerkleinerer im Bach (zum Beispiel Bachflohkrebse) ist das Aufschließen von herabgefallenem Laub durch Mikroorganismen wichtig. Die Zerkleinerer dienen weiteren Arten als Nahrungsgrundlage. Nadelstreu kann, im Gegensatz zu Laubblättern, nur schwer von Mikroorganismen aufgeschlossen werden und bildet keine optimale Grundlage für ein gesundes Nahrungsnetz im Gewässer. Dadurch fehlt der weiteren Nahrungskette die Ernährungsgrundlage und die Artenvielfalt verarmt. Zusätzlich verschlechtert Nadelstreu den chemischen Stoffhaushalt der Gewässer (Friberg et al., 2002).
  • Fichten-Reinbestände sind meist sehr dicht gepflanzt, so dass nur wenig Licht in die Gewässer fällt. Dadurch bilden Wasserpflanzen weniger Biomasse als bei einer naturnah geprägten Ufervegetation. Dies führt zu einem weiteren Nährstoffmangel in Waldbächen. Typische, naturnahe Gewässerbegleitvegetation wird ausgedunkelt.
  • Waldbäche sind die Kinderstube vieler Insekten. Sie werden oft während ihrer Larvalphase im Gewässer mit der Strömung bachabwärts verdriftet. Erwachsene Fluginsekten wie Köcherfliegen führen deshalb gewässeraufwärts gerichtete sogenannte "Kompensationsflüge" durch. Für diese Fluginsekten stellen dichte Nadelholzbestände ein Orientierungsproblem dar: Die dunklen Bestände bilden Sichthindernisse, senken die Lufttemperatur und funktionieren so als klimatische Barriere, sodass eine Orientierung am abendlichen Talwind unmöglich ist. Kompensationsflüge werden verhindert (Hering et al., 1993).
  • Die flach wurzelnden Fichten sind nicht in der Lage, den Waldboden um das Gewässer zu festigen. Ein zu hoher Feinsedimenteintrag in die Gewässer ist die Folge. Außerdem wird durch die Verdunklung die standortstypische Vegetation verdrängt.
  • Nicht zuletzt weisen die dort gepflanzten Fichten ein hohes ökonomisches Risiko auf, da sie unter für sie suboptimalen Standortbedingungen wachsen und dadurch anfällig für Schadereignisse sind.

  • In unserer heutigen Kulturlandschaft sind Fließgewässer vielfach zerschnitten und von ihren Auen getrennt. Das hat gravierende Folgen für die Artenvielfalt. Vor allem wandernde Arten, die beide Biotope benötigen (wie zum Beispiel der Feuersalamander) werden dadurch beeinträchtigt.
  • Aus ökologischer Sicht stellen Verbauungen an Gewässern häufig große, strukturelle Defizite dar. Die engen Wegenetze in unseren Wäldern kreuzen an vielen Stellen Fließgewässer. Die typischen Verrohrungen im Bachlauf unterhalb der Wege bilden oft ein Wanderungshindernis für viele Arten. Selbst kleine Abstürze zwischen Rohr und Bachbett können von manchen Fischarten (hierzu zählt die geschützte Groppe) nicht überwunden werden. Auch für die zahlreichen Kleinstlebewesen im Bachbett stellen die Verrohrungen meist ein unüberwindbares Hindernis dar. Wehre oder Sohlsicherungsmaßnahmen bilden weitere Wanderungshindernisse. Der Bachlauf oberhalb der Ausbreitungsbarriere verarmt dadurch in seiner Artenvielfalt. Der Bach stirbt an "tausend kleinen Schnitten" (Belletti, de Leaniz et al. 2020).

Entlang von Waldwegen wurden Gewässer oft begradigt und Wege sehr dicht an das Flussbett gebaut. Dadurch verlieren sie an Lebensraumeignung für Fließgewässerarten. Die Fließgewässer können nicht mehr mäandern, ihr Lauf ist teilweise schnurgerade. Die dringend benötigte Strukturvielfalt ist nicht mehr gegeben: Junge Fische finden keine Ruhigwasserzonen, Amphibien keine Auenbereiche zur Laichablage. Durch Fließgewässerbegradigungen sinken die Grundwasserpegel in den Wäldern, so dass die Wälder in Dürrephasen schnell in Trockenstress geraten (Gleim, W., 2010).

Potenziale

Eine gute Nachricht ist, dass Waldbäche im Vergleich zu anderen Gewässern eine vergleichsweise große Naturnähe aufweisen. Hier finden sich oft Restbestände bedrohter Tier- und Pflanzenarten, die an anderer Stelle schon längst aus den Gewässern verschwunden sind, weil ihnen neben den strukturellen Defiziten zum Beispiel die Nährstoff- und Biozidausträge aus der Landwirtschaft stark zusetzen. Der Wald bietet hier einen natürlichen Puffer, der die Gewässer schützt.

  • Mit relativ geringem Aufwand, beispielsweise durch die Beseitigung einer Verrohrung oder das Einbringen einiger standortsheimischer Laubbäume, wie zum Beispiel Schwarzerlen in einen Fichten-Reinbestand, kann die Artenvielfalt im Gewässer unterstützt werden, ohne zu hohe Kosten zu verursachen. Geringer Aufwand, hoher ökologischer Nutzen! Das Potenzial zur Aufwertung ist hoch.
  • Gewässerabschnitte mit gutem ökologischen Zustand haben wiederum eine Strahlwirkung weit über das Eingriffsgebiet hinaus, indem sie eine Quelle für die Neubesiedlung durch Organismen bilden können.

Ergebnisse

Spezielle Planungshinweise

Weitere Herausforderungen

Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht. So gilt es bei der Umsetzung von Aufwertungsmaßnahmen, in der Praxis genau hinzuschauen, wo Maßnahmen am sinnvollsten sind und wie diese behutsam umgesetzt werden können. Folgende Punkte sind zu beachten:

  • Krebspest: Die heimischen Dohlen-, Stein- und Edelkrebse sind durch invasive Krebsarten vom Aussterben bedroht. Die invasiven Arten verdrängen die einheimischen Krebsarten. Zusätzlich sind sie Überträger der Krebspest. Im Gegensatz zu den invasiven Krebsarten überleben die einheimischen Krebsarten eine Krebspestinfektion nicht. Ausbreitungshindernisse gegen die invasiven Arten können in diesem Fall positiv wirken und den einheimischen Krebsarten letzte Lebensraumrefugien sichern. Vor der Entfernung eines Ausbreitungshindernisses muss deshalb unbedingt geprüft werden, ob sich oberhalb der Barriere heimische Krebsarten befinden und ob vom Gewässerunterlauf eine Krebspestgefahr ausgeht.
  • Denkmalschutz: Da Fließgewässer und Auen seit jeher für den Menschen eine hohe Bedeutung als Siedlungsräume und Transportwege hatten, sind sie oft besonders reich an archäologischen Fundstellen, die zu unserem kulturellen Erbe zählen. Aus diesem Grund binden wir Nachweise kultureller Denkmäler im Projekt mit in die Potenzialanalyse ein. Wir arbeiten kooperativ mit dem Denkmalschutz zusammen und wollen vor einer Umbaumaßnahme abstimmen, ob der Rückbau eines Wanderungshindernisses mit dem Denkmalschutz in Konflikt steht.

Synergien

  • Fließgewässer mit natürlichem Fließverhalten, Vegetation und Tierbestand sind nicht nur für den Natur- und Artenschutz ein echter Gewinn. Die Coronakrise hat gezeigt, wie wichtig die Natur zur Naherholung für viele Menschen ist. Ein natürlicher und vielgestaltiger Bachlauf wird als ästhetischer empfunden als ein naturferner und verbauter Gewässerabschnitt und bietet einen höheren Erholungswert und ein schöneres Naturerlebnis.
  • Renaturierte Fließgewässer sind ein Beitrag zu effektivem Hochwasserschutz. Je mehr Dynamik dem Gewässer entlang der Fließstrecke gestattet wird und je mehr Überflutungsflächen beziehungsweise Retentionsmöglichkeiten geschaffen werden, desto weniger Schäden entstehen gewässerabwärts, wo sich sonst die gesamten Wassermassen in den oft dicht besiedelten Flussebenen entladen. Außerdem leisten intakte Fließgewässer eine gute Filter- und damit Pufferfunktion für diverse anthropogene Belastungen und zeigen eine höhere Wasserqualität. Eine naturnahe Ufervegetation leistet einen deutlich erhöhten Erosions- und Bodenschutz.

Wir möchten einen Beitrag dazu leisten, den Gewässern und ihrem Umfeld wieder ein Stück ihrer ursprünglichen Vielfalt zurück zu geben. Am Gewässer lässt sich durch geringen Aufwand und überschaubare Kosten ein sehr gutes Ergebnis für den Natur- und Artenschutz erzielen. Um hierbei maximal effektiv vorzugehen, möchten wir die Punkte im Land ausfindig machen, an denen die größten Potenziale einer Renaturierung zu finden sind.

FRIBERG, N., LARSEN, A. D., RODKJAER, A., THOMSEN, A. G. (2002): Shred-der guilds in three Danish forest streams contrasting in forest type, Archiv für Hydrobiologie 153 (2): 197-215

GLEIM, W. (2010): Empfehlungen für die Wiederherstellung der linearen Durchgängigkeit bei Fließgewässern im Rahmen der Gewässerunterhaltung. - Gemeinnützige Fortbildungsgesellschaft für Wasserwirtschaft und Landschaftsentwicklung der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e.V. (DWA)

HERING, D., REICH, M. (1997): Bedeutung von Totholz für Morphologie, Besiedlung und Renaturierung mitteleuropäischer Fließgewässer, Natur und Landschaft 72 (9): 383-389

Belletti, B., et al. (2020). "More than one million barriers fragment Europe’s rivers." Nature 588(7838): 436-441

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