Begriffe und Methoden der Naturschutzgenetik

Genetische Diversität und Genfluss

Die Grundlage zur Bearbeitung von Fragestellungen in der Wildtiergenetik sind Unterschiede in der DNA-Sequenz zwischen Individuen oder Arten. Basierend auf dieser Variation können Ähnlichkeiten oder Unterschiede zwischen Individuen, aber auch zwischen Populationen berechnet werden. Wichtige Maße dafür sind die genetische Diversität und der Genfluss.

Die genetische Diversität ist die Gesamtheit aller Genvarianten im Erbgut einer Art. Je höher die genetische Diversität innerhalb einer Population ist, desto größer ist ihre Anpassungsfähigkeit an veränderte Umweltbedingungen. Je größer die genetische Differenz zwischen Populationen ist, desto größer ist ihr Grad der Isolation. Isolation hat zur Folge, dass kein oder nur wenig Austausch zwischen den Populationen stattfindet und Genvarianten in einer Population verloren gehen können.

Über den Genfluss wird der genetische Austausch zwischen Populationen gemessen. Je mehr Austausch zu anderen Populationen existiert, desto größer die potentielle Diversität einer Population. Dem Genfluss entgegen wirkt die genetische Drift, das Verlorengehen von genetischer Variation durch stochastische Prozesse. Über den Genfluss und das Verhältnis von Genfluss zu genetischer Drift wird die Dynamik zwischen Populationen berechnet, um so Verbundachsen und Barrieren zu identifizieren.

Anwendungsbereiche

Angewandt wird die Wildtiergenetik an der FVA bereits in mehreren Bereichen der Wildtierforschung. Insbesondere im Wildtiermonitoring ist die genetische Artbestimmung ein wichtiges Instrument. Fragen zum Populationsverbund einer Art werden über die genetische Variation und deren Dynamik (Veränderung in Raum und Zeit) erforscht. So sind Aussagen z.B. zu Wanderungsbewegungen zwischen Populationen oder Gefährdungen durch Reduktion der Populationsgröße möglich.

Für Arten, die anhand äußerer Merkmaler nur schwer auseinander zu halten sind, wie beispielsweise Wildkatzen und getigerte Hauskatzen oder Wolf und Wolfshund, ist die genetische Artbestimmung teilweise die einzige eindeutige Bestimmungsmethode. Anwendung findet die genetische Artbestimmung aber auch bei indirekten Nachweisen wie Haarfunden, Losungen oder Rissen. Besondere Bedeutung hat der Artnachweis, wenn es um möglicherweise durch Wildtiere verursachte Schäden geht (z.B. potentielle Risse von Wolf und Luchs oder Verbiss an Forstpflanzen).

Hybride lassen sich teilweise nur genetisch eindeutig nachweisen. Anwendung findet der Nachweis von Hybriden in der Wildtiergenetik der FVA in erster Linie zwischen Wildkatzen und Hauskatzen. Ebenfalls von Interesse ist die Hybridisierung zwischen Rotwild und Sikawild im Schwarzwald.

Über genetische Analysen, basierend auf den Häufigkeiten von Allelen (Genausprägungen) werden Populationen voneinander unterschieden. Sind die Unterschiede zwischen Populationen groß genug, ist es möglich, Individuen ihrer Herkunftspopulation zuzuordnen. Stimmt die Herkunftspopulation nicht mit dem geographischen Fundort überein, handelt es sich um ein migriertes Individuum. So können Hinweise auf Wanderungen geliefert werden. Kreuzt sich das migrierte Individuum in die Zielpopulation ein, vermischen sich seine Allele mit denen der Zielpopulation und tragen so zu deren Diversität bei. Über diese Art des Genflusses kann der Austausch zwischen Populationen berechnet werden. Gleichzeitig geben die Analysen Hinweise auf Barrieren zwischen Populationen, durch die der Austausch verhindert oder reduziert wird. Angewandt wird die Berechnung des Genflusses an der FVA z.B. bei den Auerhuhnvorkommen im Schwarzwald, sowie beim Rotwild in den Rotwildgebieten Nord- und Südschwarzwald. In Zukunft könnte die Berechnung des Genflusses auch bei einem grenzüberschreitenden Luchsvorkommen ein Thema sein.

Über die genetische Analyse von Artnachweisen aus Haaren, Federn oder Losungen lassen sich absolute Populationsdichten berechnen. Hierfür werden die Proben einzelnen Individuen zugeordnet. Über Fang-Wiederfangmodelle wird dann die absolute Populationsdichte berechnet. In den walddominierten Lebensräumen in Baden-Württemberg ist dies bisher die einzige Methode, die präzise Ergebnisse liefert. Relevant ist die Frage nach der Populationsdichte z. B. beim Rotwild im Südschwarzwald im Rahmen der Erarbeitung der Konzeption, den verbliebenen Auerhuhnvorkommen und ihrer Zu- oder Abnahme oder dem geringen Kenntnisstand zur Verbreitung und Häufigkeit des Baummarders.

Inzucht tritt vor allem in kleinen, isolierten Populationen auf und hat eine verringerte genetische Diversität zur Folge, die wiederum zu einer reduzierten Vitalität der Population führen kann. Zudem wird die Anpassungsfähigkeit der Population an veränderte Umweltbedingungen stark reduziert. Berechnet wurde der Grad der Inzucht in der Wildtiergenetik der FVA z.B. für das Rotwild in den Rotwildgebieten.

Probenmaterial

Um genetische Analysen durchführen zu können, muss zunächst einmal DNA aus Zellen extrahiert werden. DNA findet sich im Zellkern (Genom) oder in Zellorganellen wie den Mitochondrien (mtDNA). Um die Wildtiere möglichst wenig zu beeinträchtigen, aber trotzdem an DNA zu kommen, wird in der Wildtiergenetik häufig minimal- und nicht-invasives Probenmaterial verwendet. Z.B. Federn, Haare, Speichel oder Kot. Nur wenn es sich um Totfunde handelt oder die Tiere für andere Zwecke (z.B. Telemetrie) gefangen werden müssen bzw. im Rahmen der regulären Jagdausübung erlegt wurden, wird Gewebe oder Blut verwendet.

Die Extraktion der DNA aus nicht-invasiv gesammeltem Probenmaterial ist meistens aufwändiger, da in vielen dieser Materialien nur wenige Zellen vorhanden sind und diese eventuell bereits längere Zeit ungünstigen Bedingungen (Wärme, Kälte, Feuchtigkeit) ausgesetzt waren. So hat sich herausgestellt, dass z.B. die Sammlung von Kotproben im Winter bei Schneebedeckung am erfolgreichsten ist, da dann die Proben bei Temperaturen um die 0°C durchgehend gekühlt werden. Bei nicht-invasiv gewonnenem Probenmaterial muss berücksichtigt werden, dass nicht automatisch bekannt ist, zu welcher Art und welchem Individuum die Probe gehört. So wird zunächst genetisch das betreffende Individuum und bei Bedarf auch die Art bestimmt.

Labormethoden

Ist die DNA aus den verschiedenen Materialien extrahiert, werden bestimmte Bereiche der DNA amplifiziert (vervielfältigt). Dies erfolgt mit Hilfe einer Polymerase-Ketten-Reaktion (PCR). Je nach Ziel der Untersuchung können Abschnitte auf der mitochondrialen DNA (mtDNA) oder im Genom (Zellkern) verwendet werden. Die am häufigsten verwendeten Methoden im Bereich der Wildtiergenetik an der FVA sind Sequenzierungen und Mikrosatelliten-Analysen.

Über die Sequenzierung wird die Nukleotid-Abfolge des zu untersuchenden Abschnitts der DNA bestimmt. Einzelne Positionen in der Nukleotid-Abfolge können dabei variabel sein. Verschiedene Varianten des gleichen Abschnitts werden Haplotypen genannt. Manche Bereiche der DNA sind hochvariabel, so dass viele Haplotypen innerhalb einer Population auftreten. Mit diesen Bereichen können über das Vorkommen und die Häufigkeit der Haplotypen populationsgenetische Fragen bearbeitet werden. Andere Bereiche der DNA sind hoch konserviert und zeigen nur zwischen Arten Unterschiede. Diese Bereiche können für Artbestimmungen verwendet werden, um z.B. zu ermitteln welche Tierart an einem Riss gefressen hat. Ein weiteres Beispiel ist die Unterscheidung zwischen Wild- und Hauskatzen über die Haplotypen eines mtDNA-Abschnittes. Da die mtDNA nur mütterlicherseits vererbt wird, können mit dieser Methode aber keine Aussagen über Hybridisierungen getroffen werden.

Mikrosatelliten sind kurze, repetitive Abschnitte der DNA. Ihr Aufbau ist sehr einfach und besteht aus 2-4 Nukleotiden, die vielfach wiederholt werden. Die Anzahl an Wiederholungen variiert dabei zwischen einzelnen Ausprägungen des Mikrosatelliten, den Allelen. Da in jeder Zelle zwei homologe Chromosomen vorliegen, erhält man für jedes Individuum pro Mikrosatelliten-Genort zwei Allele gleicher oder unterschiedlicher Länge. Durch Kombinationen mehrerer variabler Mikrosatelliten können Untersuchungen auf verschiedenen Verwandtschaftsebenen durchgeführt werden. Anhand einer ausreichenden Anzahl variabler Mikrosatelliten können Individuen über ihren „genetischen Fingerabdruck“ zuverlässig voneinander unterschieden werden. Mikrosatellitenanalysen werden angewandt in der Unterscheidung von Haus- und Wildkatzen, sowie für Untersuchungen zum Populationsverbund z.B. vom Auerhuhn im Schwarzwald.

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