WILDCARD
Effekte des "rewilding" in Wäldern und landwirtschaftlichen Flächen auf Kohlenstoffbindung und Diversität
Wie beeinflussen sich selbst überlassene Waldflächen das Klima und die Artenvielfalt? Dieser Frage geht das im Januar 2024 gestartete EU-Horizon-Europe-Projekt WILDCARD nach, an dem sich die FVA maßgeblich beteiligt.
Übersicht
Ein vieldiskutiertes Konzept gegen den menschengemachten Klimawandel und das Artensterben ist die Wiederherstellung natürlicher Ökosysteme und Landschaften. Im wissenschaftlichen Kontext hat sich hierfür der Begriff "Rewilding" etabliert. Und tatsächlich erlebt die Natur in Europa bereits vielerorts ein Comeback.
Da in einigen Ländern immer mehr Menschen in Städte ziehen sowie Landnutzungsänderungen stattfinden, nimmt die Waldfläche in der Europäischen Union kontinuierlich zu. Zwischen 1990 und 2020 um fast 10 Prozent (+14 Millionen Hektar). Bis 2030 werden schätzungsweise zehn bis 29 Millionen Hektar Fläche aus der landwirtschaftlichen Nutzung genommen. Dies bietet Flora, Fauna und komplexen Ökosystemen die Möglichkeit Raum zurückzugewinnen.
Wie sich das Einstellen menschlicher Eingriffe auf die Kohlenstoffbindung und die Erhaltung der biologischen Vielfalt auswirkt, wurde bisher noch nicht systematisch erforscht. Diese länderübergreifende Aufgabe übernehmen 16 internationale wissenschaftliche Institutionen unter Leitung der Universität Udine (Italien). Im Fokus der Evaluation stehen die "Rewilding"-Konzepte "Proforestation", eine Aufgabe der Waldbewirtschaftung, um natürliche Waldentwicklung zu ermöglichen sowie „Land abandonment“, welches Sukzession nach Aufgabe landwirtschaftlicher Flächen beschreibt. Im Rahmen eines interdisziplinären Ansatzes werden zudem rechtliche, kulturelle, wirtschaftliche und politische Aspekte des "Rewilding" untersucht.
Die Erkenntnisse werden entscheidend für die erfolgreiche Umsetzung politischer Konzepte wie der EU-Biodiversitätsstrategie und des EU-Green-Deals sein. Das Projekt WILDCARD ist Teil des EU-Programms "Horizon Europe" (Fördernummer 101081177). Es läuft bis 2027 und ist mit einem EU-Budget von 8,9 Millionen Euro und einem Schweizer Beitrag von 1,2 Millionen Euro ausgestattet.
Rolle der FVA in WILDCARD
Die FVA spielt eine tragende Rolle in dem Arbeitspaket "Rewilding in Naturwäldern". Neben der Koordination dieses Paketes, werden die Auswirkungen der Stilllegung auf die oberirdische Biodiversität als auch die Entwicklung von Biodiversitätsindikatoren von Waldstrukturen basierend mit drohnengestütztem LiDAR (ULS) untersucht.
Leitung und Koordination des Arbeitpaketes "Rewilding" in Naturwäldern
Die FVA leitet das Arbeitspaket, das die europäischen Potenziale zur ober- und unterirdischen Kohlenstoffbindung und -speicherung sowie Veränderungen der Biodiversität in aus der Nutzung genommenen Naturwäldern bzw. Primärwäldern untersucht. Hierfür greift sie auf eine breite Datenbasis zurück, die das europäische Klimagefälle von der mediterranen bis zur borealen Zone abdeckt. Die dendrometrischen Daten von über 700 Untersuchungsflächen von über 40 europäischen Institutionen werden von der FVA organisiert und von der Partnerinsitution VUK (Tschechische Republik) harmonisiert und in einer einzigartigen Datenbank gehalten. Diese Daten stellen neben weiteren Biodiversitätsdaten (von ca. 300 Flächen) die Grundlage für die Auswertung. Als wichtige Parameter gelten die fortschreitende Dauer der Stilllegung und die zeitlich einhergehenden Veränderungen. Als natürliche Referenz werden die verbleibenden europäischen Urwaldbestände herangezogen.
Die bewirtschaften Wälder gelten im Untersuchungsaufbau als Normalzustand (Baseline). Auf dieser Datenbasis werden Modelle erstellt, um die langfristige Entwicklung von Biodiversität und Kohlenstoffspeicher auf stillgelegten Flächen zu quantifizieren und prognostizieren.
Auswirkung der Stilllegung auf die Biodiversität
Eine zentrale Frage im Rahmen von WILDCARD ist, wie sich die oberirdische Biodiversität in Wäldern nach der Einstellung der Bewirtschaftung entwickelt. Die FVA ist federführend bei den statistischen Analysen zur Beantwortung dieser Frage und bei der Erfassung und Harmonisierung der dafür notwendigen Multitaxon-Biodiversitätsdaten. Dies umfasst nicht nur Biodiversitätsdaten, die von der FVA in Bannwäldern in Baden-Württemberg erhoben werden (für weitere Details siehe FVA-Projekt „Biodiversität entlang eines Bewirtschaftungsgradienten“), sondern auch Daten aus Waldreservaten in ganz Europa, die von anderen WILDCARD-Partnern und einer Vielzahl externer Partner beigesteuert werden. Ein Großteil dieser externen Daten stammen aus der European Forest Reserves Initiative (EuFoRIa).
Frühere Forschungsarbeiten, die die biologische Vielfalt in bewirtschafteten und nicht bewirtschafteten Wäldern verglichen haben, konzentrierten sich hauptsächlich auf den Gesamtartenreichtum und -vielfalt als Maßstab für die Biodiversität. Da stillgelegte Wälder jedoch in spätere Sukzessionsstadien übergehen, profitieren nicht unbedingt alle Arten von diesen Veränderungen. Der Naturschutzwert stillgelegter Wälder lässt sich daher möglicherweise besser durch die Reaktion von Arten, Gilden und funktionalen Merkmalen darstellen, die eng mit Wäldern in späten Sukzessionsstadien (z. B. Abbildung 1A-B) und den damit verbundenen Strukturen in Verbindung stehen. Solche Strukturen sind beispielsweise große Bäume, welche reich an Mikrohabitaten sind (z. B. Abbildung 1C). Es ist auch davon auszugehen, dass die Reaktionen auf die Zeit seit der Nutzungsaufgabe des Waldes komplex und nicht linear sind, und es bleibt unklar, wie lange nach der Stilllegung des Waldes natürliche Lücken entstehen, die Lebensraum für lichtliebende Arten, wie die Berg-Waldhyazinthe (Platanthera clorantha) (Abbildung 1D) in den spät-sukzessiven Beständen schaffen.

Abb. 1: Beispielsarten für unterschiedliche Sukzessionsstadien im Wald.
A. Späte Sukzession: Dreizehenspecht (Picoides tridactylus), vom Aussterben bedroht in BW
B. Späte Sukzession: Blaue Laufkäfer (Carabus intricatus), gefährdet in Deutschland und BW
C. Späte Sukzession: Alte Stieleiche (Quercus robur)
D. Frühe Sukzession: Berg-Waldhyazinthe (Platanthera clorantha, gefährdet in Deutschland und in der Vorwarnliste in BW
(Bilder: A, C und D von João M. Cordeiro Pereira, B von Sebastian Schwegmann)
Die Ziele unserer Analyse sind daher wie folgt:
- die Auswirkung der Zeit seit der Stilllegung des Waldes auf die Zusammensetzung und die funktionalen Merkmale von Artgemeinschaften in einem breiten Spektrum von Organismengruppen (Gefäßpflanzen, Moose, Flechten, Pilze, Insekten, Vögel und Fledermäuse) zu bewerten
- Aspekte der Waldstruktur und -zusammensetzung zu identifizieren, die als zuverlässige Indikatoren für das Vorkommen von Spezialisten alter Wälder, von Arten auf der Roten Liste, und für die funktionale Vielfalt dienen
- die Zusammenhänge zwischen der Zeit seit der Nutzungsaufgabe, der Waldstruktur und die Biodiversität zu entschlüsseln, um einen Einblick in die ökologischen Mechanismen zu erhalten, die die Reaktionen der Biodiversität antreiben
- die Entwicklung der Waldstruktur und der Biodiversität in stillgelegten Wäldern mit derjenigen von Ausgangsbeständen (bewirtschaftete Wälder) und Referenzbeständen (Urwälder) zu vergleichen.
Die verwendeten statistischen Methoden sind: Generalisierte additive Modelle (GAM), die nicht lineare Beziehungen berücksichtigen; Hierarchische Modellierung von Artengemeinschaften (HMSC), die die Modellierung der Zusammensetzung von Gemeinschaften, einschließlich funktioneller Merkmale, als Funktion von Umweltvariablen ermöglicht; und Strukturgleichungsmodelle (SEM), die kausale Zusammenhänge zwischen der Zeit seit der Stilllegung, der Waldstruktur und die Biodiversität prüfen. Die Daten zur Waldstruktur und -zusammensetzung werden aus dendrometrischen Bestandsaufnahmen (die von der VUK gesammelt und harmonisiert werden) und LiDAR-Erhebungen (die von der FVA zusammen mit der VUK organisiert werden, siehe Abschnitt unten) an denselben Standorten gewonnen, an denen auch Daten zur Biodiversität gesammelt wurden.
Diese Arbeit wird eng mit anderen WILDCARD-Partnern koordiniert, die die Auswirkungen der Einstellung der Bewirtschaftung auf die unterirdische Biodiversität (an EVINBO (Belgien) und der ETH Zürich (Schweiz)), die oberirdische Kohlenstoffspeicherung (an der NW-FVA (Deutschland)) und die Erstellung dynamischer Modelle für die zukünftige Entwicklung der Waldstruktur und der Biodiversität (an der ETH Zürich (Schweiz)) untersuchen.
Fernerkundung
Die Untersuchung von Biodiversitätsindikatoren von Waldstrukturen werden durch Fernerkundungsmethoden mit drohnengestütztem LiDAR (ULS) unterstützt. LiDAR (Light Detection and Ranging) ist ein aktives System, mit dem sehr präzise Entfernungen von Objekten gemessen werden können. Dabei sendet ein Lasescanner Laserpulse aus, welche an Objekten reflektiert werden. Über die Messung der Zeit, die der Laserpuls vom Aussenden bis zur Detektion am Sensor benötigt, lassen sich dann Entfernungen sehr präzise bestimmen und detaillierte 3D-Modelle des Waldes berechnen. Ein Beispiel für ein solches 3D-Modell, welches mit der Farbgebung aus einer Kamera kombiniert wurde, ist in Abb. 3 dargestellt.
Die FVA ist im Projekt sowohl in der Datenerhebung, als auch der Datenauswertung involviert. Als Trägersystem kommt eine Matrice 300 RTK von DJI zum Einsatz (Abb. 4, links), mit der, aufgrund des RTK-Systems, eine hohe Positionsgenauigkeit von wenigen Zentimetern erreicht werden kann. Als Sensor wird der Zenmuse L1 (Abb. 4, rechts) und der Zenmuse L2, beide ebenfalls von DJI, verwendet. Um die Waldstrukturen auch im bodennahen Bereich erfassen zu können, ist es essentiell die Daten in der belaubungsfreien Zeit zu erheben. Aus diesem Grund hat die FVA Ende November 2024 mit den ersten Flugkampagnen gestartet und Ende März 2025 diese abgeschlossen. Weitere Flugkampagnen sind für den Winter 2025/26 geplant.
Die fünfzehn Untersuchungsgebiete, welche seitens der FVA beflogen werden sind Bannwälder und liegen fast ausschließlich in FFH-Vogelschutz oder Naturschutzgebieten und unterliegen deshalb Restriktionen in Bezug auf Drohnenaktivität über diesen Gebieten. Deshalb war es notwendig eine naturschutzfachliche Genehmigung zu erlangen. Die Lage der Untersuchungsgebiete sind in Abb. 5 dargestellt.
Beflogen wurde je Untersuchungsfläche ein Kerngebiet von 1 ha, in welchem noch zusätzliche Daten wie Bodenkohlenstoff und -biodiversität erhoben werden. Das Kerngebiet wurde dann abhängig von den Möglichkeiten vor Ort auf zielmäßig 30 ha erweitert. Das Befliegungsergebnis sollte mindestens 1000 Punkte/m² sein und entsprechend mussten Parameter wie Fluggeschwindigkeit, Flughöhe und Überlappungsbereich entsprechend angepasst werden.
Nach der Datenerhebung werden die Punktwolken aller Untersuchungsflächen im Projekt an den Partner VUK weitergeben, der in automatisierten und standardisierten Verfahren Strukturindizes berechnet. Diese berechneten Indizes werden dann zurück an die FVA gespielt, deren Aufgabe darin besteht die Möglichkeit des Upscalings der Strukturinformationen auf eine größere Fläche zu analysieren. Dafür werden die Produkte, welche im Projekt MoBiTools, auf Basis von Luftbildaufnahmen, für das ganze Land Baden-Württemberg berechnet werden, verwendet. und Modelle erstellt, welche die die Beziehung dieser Produkte und der Indizes beschreiben.
Partnerinstitutionen des Projektes
- Technical University of Munich (Deutschland)
- European Forest Institute (Finnland)
- Vrije Universiteit Amsterdam (Niederlande)
- Institute of Biodiversity and Ecosystem Research at the Bulgarian Academy of Sciences (Bulgarien)
- Research Institute for Nature and Forest (EVINBO) (Belgien)
- Ștefan cel Mare University of Suceava (Rumänien)
- Silva Tarouca Research Institute for Landscape and Ornamental Horticulture (Tschechische Republik)
- Forest Research Institute Baden-Württemberg (Deutschland)
- Prospex Institute (Belgien)
- Wageningen University & Research (Niederlande)
- Northwest German Forest Research Institute (Deutschland)
- University of Turin (Italien)
- University of Padua (Italien)
- University of Udine (Italien)
- University of South Bohemia in České Budějovice (Tschechische Republik)
- ETH Zürich (Schweiz)
Förderung
Weitere Informationen
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