Waldbau im Wandel

Mit der Schlagzeile „Hohe Holzpreise und Knappheit: „Brennholz ist das neue Klopapier“  weist das Handelsblatt in seiner Onlineausgabe vom 26.07.2022 im Zusammenhang mit der derzeitigen Energieknappheit auf einen Ansturm auf Brennholz als Gas-Alternative hin. 
Dies ist kein neues Phänomen, denn die Waldbewirtschaftung ist seit jeher stark von gesellschaftlichen Ansprüchen, den jeweiligen Eigentümern und politischen Ereignissen, aber auch vom Berufs- und Ausbildungsstand der jeweiligen Bewirtschaftenden abhängig.

„Wir haben jetzt eine Forstwissenschaft, weil es uns am Holze fehlt“

„Wir haben jetzt eine Forstwissenschaft, weil es uns am Holze fehlt“, schreibt H. Cotta 1816  in seiner „Anweisung zum Waldbau“, als einer der ersten forstwirtschaftlich und forstwissenschaftlich nachhaltig Denkenden. Seit der ersten Besiedelung und späteren Urbanisierung wird der Wald als Rohstoff, Hilfsmittel, Nahrungs-, Licht-, Energie- und Wärmequelle aber auch Landressource ja intensiv genutzt. So findet eine jahrhundertelang stetig zunehmende Holz(über-)nutzung und Rodung der Wälder statt. 

Unterschiedlichste Ansätze, diese Übernutzung zu kompensieren, werden im Laufe der Geschichte entwickelt. Zunächst durch sich verändernde nutzungsbezogene Waldbaumethoden und später durch gezielte Wiederanpflanzung und Pflege von Bäumen. Dieser Prozess wird seit 150 Jahren von der FVA beobachtet, erforscht und als Grundlage für die forstliche Praxis weiterentwickelt.

Löcherhieb 

Erste Erfahrungen mit einer solchen konzeptionell neuartigen waldbaulichen Behandlungsmethode wie dem „Löcherhieb“ mit seiner natürlichen Verjüngung der Holzbestände und deren Vorteile, diskutiert Prof. W. Vonhausen als erster Leiter der Badischen Versuchsanstalt bereits 1871 in der Allgemeinen Forst- und Jagdzeitung: „Die Verjüngung mittelst des Löcherhiebs bewegt sich aber noch nicht in festen Normen, wie das denn auch bei ihrer Neuheit nicht anders zu erwarten ist. Erst nach weiteren Erfahrungen wird der rechte Weg gefunden werden.“ 

In den darauffolgenden Jahrzehnten werden hauptsächlich ertragskundliche Grundlagen entwickelt, unter anderem zu Stamminhalt, Holzvorrat, Zuwachs, Massen- und Wertleistung verschiedener Holzarten , wichtige Messdaten und Parameter für die Forsteinrichtung, die Waldwertrechnung, der Statik  und des Waldbaus. Damit einhergehend wird im Staatswald, aber auch im Privat- und Körperschaftswald aller Landesteile, einerseits eine Kahlschlag- und Wiederaufforstungswirtschaft protegiert und andererseits rasch ein relativ dichtes Netz von ständigen Versuchsflächen der Hauptholzarten angelegt.  Die Lage der aktuellen Versuchsflächen der FVA sind in der folgenden Abbildung 1 ersichtlich.

Obwohl der 1872 ins Leben gerufene „Verein der deutschen Forstlichen Versuchsanstalten“ die Vergleichbarkeit der Arbeitsergebnisse aller Versuchsanstalten durch einheitliche Richtlinien für die ertragskundliche Aufnahmetechnik sicherstellen soll, kommt es dennoch 1897 zu einer forstweltbewegenden Aufregung über wissenschaftlich basierte Ertragstafeln für Weißtannen in Baden und Württemberg, deren gravierenden Unterschiede nicht plausibel erscheinen. 

Kahlschläge? 

Aufgrund seiner diversen Nachteile und folgender waldbaulicher Konzeptänderungen war der Kahlschlag im Jahr 1907 nur noch mit einem Anteil von 15%, Schirmschlag mit 30% und Femelschlag mit 41% an den Hauptwaldformen der beförsterten Waldungen Badens vertreten.  Dennoch wird in den dreißiger Jahren innerhalb der Forstpartie der Ruf nach der längst überwunden geglaubten Kahlschlagswirtschaft wieder laut. Im Hinblick auf die früheren Kahlschläge, die einen Baumartenwechsel und einen Verlust des Buchenanteils zur Folge hatten , weist Prof. Hausrath, Leiter der Badischen Forstlichen Versuchsanstalt von 1920–1934, wiederholt auf die Vorzüge eines gemischten Waldes hin. Im Rahmen einer Buchbesprechung in der Allgemeinen Forst- und Jagdzeitung führt er 1933 an: „Die Aufnahmen der badischen Forstlichen Versuchsanstalt zeigen aber auch, daß ein Buchenanteil von 20% durchaus noch nicht den Ertrag gegenüber dem reinen Tannenbestand zu schmälern braucht.“ Er setzt sich mit den aus heutiger Sicht programmatischen Worten „Dank der besseren Bestandeserziehung werden wir unseren Nachkommen auch viel wertvollere Bestände übergeben. Gewiß wird der reine Buchenbestand nicht wieder Wirtschaftsziel sein, soweit Voraussagen möglich sind, aber der Buchengrundbestand mit etwa 50 % Beimischung von Nadel- und Laubholz wird seine Berechtigung behalten, vor allem in Gebieten, die schon wärmer sind als das Optimum von Tanne und Fichte.“  

Waldbau-Forschung nach dem 2. Weltkrieg

Die mit der finanziellen Not vor- und während des 2. Weltkrieges einhergehende Nichtwiederaufforstung von Waldflächen, aber auch weitere kriegsbedingte Rahmenbedingungen, wie anhaltender Fachkräftemangel, Reparationsleistungen und Käferbefall sowie einen erhöhten Bedarf an Brennholz durch die Bevölkerung lassen nach Kriegsende Großkahlflächen entstehen. Trotz der bereits vorgeschriebenen Mischwaldbegründung werden die zuvor stark vergrasten Waldböden zwangsläufig mit überwiegend leicht zu gewinnenden, unproblematisch anwachsenden aber häufiger nicht standortsgemäßen Nadelholzsamen aufgeforstet. Solche Entscheidungen wurden aufgrund fehlender Pflanzschulen und Pflanzen, aber auch mangels Arbeitskräften, die deren Pflege und Schutz hätten gewährleisten können, getroffen. Teile dieser Aufforstungen werden von 1948-1954 in Kombination mit neuen Versuchsflächen mit raschwüchsigen Baumarten, Provenienz(Herkunft)- und Düngungsversuchen angelegt  und durch eine weitere Außenstelle der Württembergischen Forstlichen Versuchsanstalt in Mössingen unter Leitung von Dr. K. Hausser begleitet. Heute untersucht die FVA vorwiegend Unterschiede in deren genetischen Struktur, um über Eigenschaften, Eignung und Wuchspotential verschiedener Baumarten und ihrer Herkünfte Aussagen treffen zu können.  

Während des Zweiten Weltkriegs reduzieren sich auch die Versuchsarbeiten aufgrund fehlenden Personals. Dennoch befassen sich die badischen und württembergischen Forstlichen Versuchsanstalten weiterhin mit der Fortführung der Ertragstafeln. 1955 berichtet K. Hausser, wie die Ergebnisse der mittlerweile über 80 Jahre alten Ertragsversuchsflächen immer wertvoller werden, da sie doch zur Überprüfung der Ertragstafeln, zur Beurteilung der Ertragsleistung auf den unterschiedlichen Standorten und somit als Grundlage der Standortskartierung dienen.  Ausgerechnet zu Hochzeiten des „Waldsterbens“ deuten Mitte der 1980er Jahre erste Forschungsergebnisse auf eine anhaltende Zunahme des Waldwachstums hin, was zu einer Anpassung der alten Ertragstafeln, hin zu neuen Schätzhilfen für die Forsteinrichtung führt.   

Nach erfolgreicher Linderung der Holznot, sowohl durch alternative Energieträger und Baumaterialien als auch erfolgreiche nachhaltige Holzproduktion in geregelter Bewirtschaftung, werden weitere waldbauliche Probleme und Ziele gesellschaftlich wichtig. Fragen nach ökologischen und sozialen Aspekten von „Nachhaltigkeit“ sowie der Resilienz der von Menschen beeinflussten Waldökosysteme gegenüber externen Einflüssen nehmen deutlich zu, für die die Forstwirtschaft Antworten und Lösungsansätze sucht.

Waldsterben in den 1980er Jahre

Die in den 1980er Jahren zu beobachtenden erheblichen Nadel- und Blattverluste sind auch für Laien leicht erkennbar und lösen intensive Diskussionen um das „Waldsterben“ aus – obwohl im Südwesten tatsächlich nur wenige der schlecht belaubten Bäume tatsächlich absterben und in dieser Zeit ein lang anhaltender Trend zunehmender Holzzuwächse einsetzt. 

Fast hundert Jahre zuvor, im Jahr 1884, beschreibt Prof. H. v. Nördlinger, bis 1883 Leiter der Württembergischen Forstlichen Versuchsanstalt, bereits solche Baumschäden, für die er saure Abgase und Flugstäube der Hütten und Fabriken verantwortlich macht.  Seit 1984 erhebt und erforscht die FVA jährlich den Gesundheitszustand des Waldes in ganz Baden-Württemberg auf einem gleichbleibenden Aufnahmenetz und veröffentlicht diese Ergebnisse im Waldzustandsbericht.  

Für Prof. H.-U. Moosmeyer, der die seit 1958 fusionierte Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg (FVA) von 1972-1993 leitet, liegt eine der Hauptaufgaben der Forschenden darin, auf unter Fragestellungen der Vergangenheit konzipierten langfristigen Versuchsflächen gewonnene Daten auch für die Beantwortung von Fragen der Gegenwart und Zukunft nutzbar zu machen.  Möglich wird dies, weil an der FVA zwischenzeitlich in mühevoller Arbeit nahezu der gesamte Bestand an in Papierform dokumentierten historischen Versuchsflächen datenbanktechnisch aufbereitet wurde. Damit sind auch zum Teil über hundert Jahre alte Messwerte aus längst beendeten Versuchen nicht verloren, sondern stehen bei Bedarf jederzeit auch für aktuelle Forschungsfragen zu Wachstum, Entwicklung, Wirkung waldbaulicher Maßnahmen oder Umweltveränderungen auswertbar zur Verfügung.  

Wie die meisten Generationen zuvor, beschäftigt sich die FVA selbstverständlich auch heute mit den aktuellen Fragen um die Zukunft des Waldes. Und ebenso selbstverständlich haben sich hier die Schwerpunkte im Wandel der Zeiten verändert. Heute geht es vor allem um Fragen, wie sich durch Weiterentwicklung waldbaulicher Konzepte die Resilienz der Wälder unter anhaltendem Klimawandel unterstützt werden kann. Dazu gehört auch die Suche nach ausreichend anpassungsfähigen Baumarten, die gegebenenfalls die heute vorherrschenden Arten ergänzen könnten. Letztendlich geht es also nach wie vor um die Suche nach Möglichkeiten, die Wälder so zu pflegen und zu entwickeln, dass auch nachfolgende Generationen den Wald als Ökosystem in seiner Vielfältigkeit weiterhin nutzen können – nachhaltig eben.

Text und Recherche: Hilke Schröder

PDF-Download des Kapitels mit Quellen

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