Überblick
Die Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt (FVA) hat 2024 begonnen, ein landesweites Biodiversitätsmonitoring im Wald durchzuführen. Dieses Monitoring umfasst vier Bausteine zur Erfassung der Insektenvielfalt:
- Tagfalter und Widderchen
- Nachtfalter
- Xylobionte Käfer und Fluginsekten
- Laufkäfer (und bodenlebende Arthropoden)
Ziel des Insektenmonitorings ist es, statistisch belastbare und für den Wald in Baden-Württemberg repräsentative Aussagen über den Zustand und die langfristige Entwicklung der Artenvielfalt, Artenzusammensetzung und Biomasse der waldtypischen Insektengemeinschaften zu ermöglichen. Darüber hinaus soll das Monitoring die Treiber der beobachteten räumlichen Muster und zeitlichen Trends aufdecken. Dies beinhaltet die Untersuchung der Einflüsse der Waldbewirtschaftung, des Klimawandels sowie anderer Landnutzungsformen außerhalb des Waldes auf die Insektengemeinschaften im Wald.
Das Insektenmonitoring soll zusammen mit den anderen Bausteinen des Biodiversitätsmonitorings die notwendige Wissensgrundlage für ein biodiversitäskonformes Waldmanagement in Baden-Württemberg schaffen. Die dafür nötige Verstetigung des Monitorings hat das Land jedoch bisher noch nicht beschlossen.
Die konzeptionellen Grundlagen für das Monitoring wurden im Rahmen des Sonderprogramms zur Stärkung der biologischen Vielfalt entwickelt. Dabei wurde besonderer Wert auf die Anschlussfähigkeit an bestehende und geplante Monitoringprogramme innerhalb und außerhalb des Waldes gelegt.
Hintergrund
Insekten stellen einen Großteil der Artenvielfalt in unseren heimischen Ökosystemen und übernehmen dort wichtige Funktionen in den Nahrungsketten und Stoffkreisläufen. Doch es gibt zunehmend Hinweise, dass in den letzten Jahrzehnten sowohl die Artenvielfalt als auch die Gesamtbiomasse der Insekten stark zurückgegangen sind und sich darüber hinaus ein deutlicher Artenwandel vollzogen hat. Eine solide Datengrundlage, um das genaue Ausmaß dieser Veränderungen flächendeckend sowohl für Deutschland als auch auf Ebene einzelner Bundesländer zu beziffern und mögliche Ursachen zu ermitteln, fehlt allerdings. Standardisierte, flächendeckende und langfristig angelegte Monitoringprogramme können hierfür einen wichtigen Beitrag leisten und werden sowohl auf Bundesebene (u.a. Aktionsprogramm Insektenschutz, Insektenschutzgesetz, Nationales Monitoringzentrum zur Biodiversität) als auch auf Landesebene (u.a. Waldstrategie BW 2050, Sonderprogramm zur Stärkung der Biologischen Vielfalt) als wichtige Baustein gesehen.
Das Bundesamt für Naturschutz (BfN) hat ein Konzept für ein bundesweites Insektenmonitoring erarbeitet, das die Erfassung verschiedener Insektengruppen, wie Tagfalter, Laufkäfer und xylobionte Käfer, vorsieht. Ziel ist eine bundesweite Analyse von Trends getrennt nach Landnutzungsformen, darunter Acker, Grünland und Wald. Es bleibt den Bundesländern überlassen, durch eine Erhöhung des Stichprobenumfangs, Auswertungen auf Landesebene oder hinsichtlich spezifischerer Fragestellungen zu ermöglichen. In Baden-Württemberg wird seit 2018 durch die Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg (LUBW) ein Insektenmonitoring im Offenland durchgeführt. Der Umfang der beprobten Stichprobenflächen geht dabei weit über den empfohlenen Umfang des bundesweiten Programms hinaus, um Trends auch auf Landesebene statistisch abgesichert erfassen zu können.
Im Wald von Baden-Württemberg hingegen wurde bislang kein umfassendes Insektenmonitoring umgesetzt. Einzelne Studien deuten zwar auf einen Insektenrückgang auch im Wald hin, doch auf Basis der bestehenden Datengrundlage lässt sich nicht beurteilen, welche Rolle dabei dem Waldmanagement, der Landnutzung außerhalb des Waldes oder auch dem Klimawandel zukommt. Vermutet wird, dass die Insektendichte im Wald auch durch Landnutzungsformen außerhalb des Waldes beeinflusst wird. Gleichzeitig haben die Waldbewirtschaftung und der Klimawandel massive Auswirkungen auf den Zustand des Waldes und damit auf die Lebensraumqualität und -quantität verschiedener waldgebundener Insektenarten.
Die moderne Forstwirtschaft hat durch die Bevorzugung ungleichaltriger Mischbestände zu immer älteren, dichteren und auf Landschaftsebene wenig heterogenen Wäldern geführt, was teilweise negative Folgen für die Biodiversität hat. Gleichzeitig werden infolge des Klimawandels mehr Öffnungen im Kronendach durch großflächige Störungen beobachtet, und die Anbauwürdigkeit vieler Baumarten wird angesichts der vermehrt auftretenden Trockensommer und Schädlinge hinterfragt. Das Insektenmonitoring im Wald kann helfen, die Auswirkungen dieser Entwicklungen auf die Insekten im Wald besser zu verstehen und damit zu einem biodiversitätskonformen, adaptiven Waldmanagement beitragen.
Methodik
Das Monitoring ist modular aufgebaut. Es soll regelmäßig auf gut 120 landesweit verteilten Flächen durchgeführt werden. Diese Flächen sind in ein Grundprogramm (flächenrepräsentative Stichprobenziehung) und ein Erweiterungsprogramm (gezielte Ergänzung des Grundprogramms um Eichenwälder, Bannwälder und Auen- und Moorwälder) unterteilt. Weitere Informationen zu den Monitoringflächen finden sich auf der Seite zum Biodiversitätsmonitoring im Wald.
Ein flächendeckendes Monitoring ermöglicht es nicht, alle im Wald vorkommenden Insektenarten zu erfassen. Daher konzentriert sich das Monitoring auf einige gezielt ausgewählte Artengruppen, die verschiedene räumliche Skalen, Teillebensräume des Waldes und Lebensweisen repräsentieren. Dabei wurden bevorzugt solche Gruppen ausgewählt, die sich mit einem vertretbaren Aufwand und durch standardisierte Methoden effektiv erfassen lassen.
Um eine gute Vergleichbarkeit mit dem Insektenmonitoring im Offenland von Baden-Württemberg sowie mit Monitorings in anderen Bundesländern zu gewährleisten, orientieren sich die Erfassungsmethoden, wo immer möglich, an den Vorgaben des Methodenleitfadens für das bundesweite Insektenmonitoring des Bundesamts für Naturschutz (BfN).
Tagfalter und Widderchen
Tagfalter und Widderchen sind tagaktive Schmetterlinge, die in Wäldern vor allem in lichten Bereichen mit vielen Blütenpflanzen anzutreffen sind, beispielsweise auf Lichtungen und an Weg- oder Waldrändern. Diese Artengruppe mit komplexen Habitatansprüchen ist wichtig für die Bestäubung vieler Blütenpflanzen und reagiert empfindlich auf Veränderungen der Habitatqualität. Ihre Erfassung erfolgt auf 1,5 km langen Transekten entlang vorhandener Waldwege innerhalb der 1 km² großen Stichprobenflächen. An fünf Terminen im Jahr wird jeder Transekt für jeweils 1,5 Stunden begangen und die dabei beobachteten Arten werden dokumentiert.
Nachtfalter
Die überwiegend nachtaktiven Nachtfalter stellen eine sehr artenreiche Gruppe dar. Ihre Larven (Raupen) sind oft spezialisiert und fressen nur bestimmte Pflanzenarten, während die erwachsenen Falter als Bestäuber dienen. Nachtfalter und insbesondere deren Raupen spielen eine wichtige Rolle in den Nahrungsketten des Waldes und eignen sich gut als Indikatoren für den Zustand von Waldökosystemen. Zur Erfassung werden automatisierte Lichtfallen verwendet, die in vier Fangnächten zwischen Mai und August aufgestellt werden. Alle gesammelten Nachtfalter, die zu den Makrolepidoptera zählen, werden anschließend bis zur Artebene bestimmt.
Xylobionte Käfer und Fluginsekten
Xylobionte Käfer sind eine artenreiche Gruppe und leben zumindest während eines Teils ihres Lebens im und vom Holz, insbesondere in Totholz und an bzw. unter der Rinde. Sie spielen eine entscheidende Rolle bei der Zersetzung von Holz und fördern damit den Nährstoffkreislauf im Wald. Aufgrund der nur temporär verfügbaren Habitate sind die meisten Arten flugfähig. Über die Artenzusammensetzung können wichtige Rückschlüsse auf die Totholz- und Zerfallsdynamik eines Waldökosystems gezogen werden. Die Erfassung erfolgt mittels dreier Kreuzfensterfallen, die von April bis August viermal geleert werden. Die gesammelten Proben werden in Käfer, übrige Insekten und sonstige Arthropoden sortiert, und die Biomasse der drei Gruppen wird gewogen. Für die Käfer erfolgt eine morphologische Artbestimmung, während für die übrigen Gruppen zukünftig eine Artbestimmung per DNA-Metabarcoding geplant ist.
Laufkäfer und bodenlebende Arthropoden
Laufkäfer und viele andere Arthropoden wie z.B. viele Spinnenarten leben in der Streu- und Humusschicht des Waldbodens. Die meisten Arten leben räuberisch und ernähren sich beispielsweiße von Regenwürmern, Springschwänzen oder kleineren Insekten. Andere auf der Bodenoberfläche lebende Arthropoden wie z.B. Tausendfüßer und Asseln spielen eine wichtige Rolle im Abbau organischen Materials, was zur Nährstofffreisetzung beiträgt. Diese Gruppen werden mit sechs Bodenfallen pro Plot erfasst, die jeweils sechs Wochen im Frühjahr und im Herbst aufgestellt werden. Die Proben werden in Laufkäfer, Kurzflügelkäfer, übrige Insekten und sonstige Arthropoden sortiert. Für alle Gruppen wird die Gesamtbiomasse bestimmt. Eine Artbestimmung erfolgt für Laufkäfer und Spinnen.
Einflussgrößen
Neben Insekten werden auf den Monitoringflächen auch Daten zu den klimatischen Bedingungen, der Vegetationsstruktur und der Verfügbarkeit von Totholzelementen und Mikrohabitaten aufgenommen, um die Treiber für Abundanz und Vorkommen der Insekten ausfindig zu machen. Mit Hilfe von Geodaten und fernerkundungsbasierten Ansätzen (u. a. den im Rahmen des Sonderprogramms entwickelten Mobi-Tools) können zusätzliche Einflussfaktoren auf Bestandes- und Landschaftsebene abgeleitet und getestet werden.
Erste Ergebnisse
In den Jahren 2022 und 2023 wurden die Bausteine des Insektenmonitorings auf einigen ausgewählten Flächen getestet, um die Arbeitsabläufe und Erfassungsmethoden für den Echtbetrieb zu optimieren. Dabei wurden erste wertvolle Daten gewonnen.
Tagfalter und Widderchen
2022 erfolgten auf zwölf landesweit verteilten Flächen des Grundprogramms an jeweils fünf Terminen Transekterfassungen von Tagfaltern und Widderchen entlang von Waldwegen und Waldrändern. Dabei wurden 3.392 Tagfalter aus 49 Arten erfasst. Die drei häufigsten Arten waren das Große Ochsenauge Maniola jurtina, eine typische Art des Offenlands, der Kaisermantel Argynnis paphia, der oft in lichten Wäldern oder auf Waldlichtungen anzutreffen ist, und der Grünader-Weißling Pieris napi, der in relativ vielen oft auch schattigeren Lebensräumen vorkommt. Sechs der erfassten Arten gelten nach der Roten Liste Baden-Württemberg als gefährdet und 15 weitere stehen auf der Vorwarnliste. Mit dem Weißen Waldportier Brintesia circe und dem Zweibrütigen Würfel-Dickkopffalter Pyrgus armoricanus wurden sogar zwei Arten erfasst, die in der Roten Liste Baden-Württemberg als „vom Aussterben bedroht“ eingestuft sind.
Unter den 49 hier erfassten Arten sind 15 Arten (36,2 % der Individuen), die an Wald bzw. lichte Waldstrukturen gebunden sind, 30 Arten (44,4 % der Individuen), die typischerweise das Offenland bevorzugen, und 4 Arten (19,4 % der Individuen), die sowohl im Wald als auch im Offenland vorkommen. Der hohe Anteil an Arten des Offenlands resultiert zum Teil daraus, dass die Transekte nicht nur durch den Wald (74,8 % Streckenanteil), sondern auch entlang der Waldränder (22,4 %) und über kurze Passagen durch das angrenzende Offenland (2,8 %) verliefen. Der Zusammenhang zwischen der Waldbindung und dem Vorkommen der erfassten Arten soll im Echtbetrieb des Monitorings genauer untersucht werden.
Nachtfalter
Im Jahr 2023 wurden in Zusammenarbeit mit dem Projekt Biodiversität auf Störungsflächen Nachtfalter auf zehn Störungsflächen und zehn naturnah bewirtschafteten, ungestörten Flächen im Schwarzwald erfasst. Auf jeder der 20 Flächen kamen zwei verschiedene Erfassungsmethoden zum Einsatz:
- Totfang mit einer automatisierten Lichtfalle, gefolgt von einer morphologischen Artbestimmung durch einen Experten.
- Lebendfang mit einer gleichartigen Falle, bei dem die Falter fotografiert und mithilfe einer KI-basierten Bestimmungsapp identifiziert wurden.
Die Methodenerprobung lieferte bereits wertvolle Erkenntnisse für den Echtbetrieb des Monitorings. Aktuell erfolgen tiefergehende Auswertungen zur Eignung KI-basierter Fotobestimmung von Nachtfaltern und zur aktuell wichtige Frage nach den Auswirkungen von Störungsereignissen auf die Biodiversität im Wald.
Xylobionte Käfer und Fluginsekten
Im Jahr 2022 wurde der Baustein „Xylobionte Käfer und Fluginsekten“ auf neun Flächen in Baden-Württemberg testweise durchgeführt. Neben den standardisierten Erfassungsmethoden wurden kleinere experimentelle Manipulationen vorgenommen, um die Unterschiede in Fangergebnissen verschiedener Fallentypen (Eigenbau, Rahnfalle, Polytrap) bezüglich Individuenzahl, Biomasse und Artenzusammensetzung zu untersuchen. Die Fensterfalle mit der größten Prallfläche erzielte erwartungsgemäß die höchste Käferbiomasse. Zwischen den kleineren Fensterfallen zeigte sich kein Unterschied in der Käferbiomasse, wohl aber bei der Biomasse der übrigen Insekten, obwohl sie dieselbe Prallfläche aufwiesen. Dies unterstreicht die Bedeutung einer Methodenstandardisierung, da selbst kleine Unterschiede der Fallen zu unvorhergesehenen Effekten führen können.
Laufkäfer und bodenlebende Arthropoden
Im Jahr 2022 wurde der Baustein Laufkäfer und Spinnen auf neun Flächen in Baden-Württemberg testweise durchgeführt. Neben den standardisierten Erfassungsmethoden wurden experimentelle Manipulationen vorgenommen, um das Fangergebnis aus Bodenfallen mit Gitter- oder Plexiglasabdeckung zu vergleichen. Insgesamt wurden 31 Laufkäferarten (Carabidae) und 94 Spinnenarten (Araneae) erfasst. Es zeigte sich, dass Bodenfallen mit Drahtgitter-Dächern regelmäßig mit Regenwasser vollliefen, was die Fängigkeit beeinträchtigt und die Probenqualität gefährdet. Für den Echtbetrieb werden daher Plexiglasdächer verwendet.
Im Jahr 2023 wurde in Zusammenarbeit mit den Projekten Bodenfaunamonitoring und Biodiversität auf Störungsflächen untersucht, wie sich die Habitatstruktur und die Aktivitätsdichte von Arthropoden auf deren Erfassung auswirken. Auf verschiedenen Flächentypen (naturnah bewirtschaftete Kontrollflächen, geräumte Freiflächen, nicht geräumte Störungsflächen) wurden dafür sowohl offene Bodenfallen als auch Bodenemergenzfallen aufgestellt. Derzeit erfolgt die Datenauswertung. Die Ergebnisse dieses Methodenvergleichs könnten wichtige Rückschlüsse für das zukünftige Monitoring liefern. Gleichzeitig ermöglichen sie interessante Erkenntnisse über die Auswirkungen des Waldmanagements nach Störungsereignissen.